„Offene Arbeit?! – Zur Entwicklung eines Netzwerkes Offene Arbeit“
Landesmodellprojekt , (2016–2018)
Im Verlauf des zweijährigen sächsischen Landesmodellprojektes „Offene Arbeit – Zur Entwicklung eines Netzwerkes Offene Arbeit in Sachsen“ arbeitete die Projektleitung mit vielen Kindertageseinrichtungen zusammen. Die Arbeitsbereiche Krippe, Kindergarten wie auch Hort waren Gegenstand vieler angeregter Plattformen zum fachlichen Austausch. Besonders die Möglichkeiten zu Konsultationen im Sinne von „Praxis für Praxis“ gaben authentische Einblicke in mögliche Umsetzungsformen der Offenen Arbeit.
Selten wird das „Offene Arbeiten“ so kontrovers und emotional diskutiert wie im Fachdiskurs der Elementarpädagogik. Noch immer halten sich Gerüchte, Kinder könnten machen, was sie wollten (- und später können sie das ja auch nicht), zudem herrsche Chaos, die Kinder hätten keine Strukturen, sie lernten nicht sich in Gruppen zurecht zu finden und fingen alles an, aber machten nichts zu Ende …
Nimmt man sich den Begriff der Offenheit als Grundlage des Nachdenkens, zeigt dies erst einmal andere Perspektiven. Offen zu sein in der Begegnung mit anderen Menschen heißt, interessiert zu sein am Gegenüber. Es heißt auch, sich überraschen zu lassen und gegebenenfalls die Meinung, die man bisher hatte, im Dialog zu verändern. Auch geht Offenheit davon aus, dass in der Begegnung mit anderen neue Wege entstehen können und die Flexibilität da ist, vom eigenen Plan abzuweichen. Dies kann uns sehr fordern: hatten wir doch gerade noch klare Vorstellungen, waren wir doch gerade noch so sicher! Und nun soll man sich auf unbekanntes Terrain begeben? Warum?
Mit dem Bild einer Wanderung wird dies noch deutlicher: die ausgeschilderten und bekannten Wege, die man selbst schon gegangen ist, geben Sicherheit. Wenn wir diese Wege verlassen, kann das Gelände unwegsam werden. Es kann auch sein, dass es irgendwo nicht mehr weiter geht und wir den ganzen Weg zurück laufen müssen. Vielleicht sehen wir aber auch Neues, dass wir noch gar nicht kannten …
Warum sollten wir in der Pädagogik bewährte Konzepte in Frage stellen und die „alten Wege“ verlassen? Die Antwort liegt in den veränderten Lebenswelten von Familien, den sich wandelnden Anforderungen der Arbeitswelt und den Erkenntnissen zum kindlichen Lernen. Das Leben der Kinder heute ist nicht mehr zu vergleichen mit der Kindheit vor 50 oder auch vor 20 Jahren. Rasante Veränderungen durch technischen Fortschritt, Urbanisierung und die digitale Revolution erfordern vom Menschen immer mehr Anpassungsleistungen. Das traditionelle Familienbild wie auch die Lebenswelten von Familien haben sich verändert. Die Gesellschaft ist offener für unterschiedliche Lebensentwürfe geworden, es geht nicht mehr nur darum, sich an autoritäre Vorgaben anzupassen, sondern individuelle Entfaltungsmöglichkeiten zu leben. Kreativität und neues Denken ist gefragt. All diese Erkenntnisse und Umstände machen deutlich: wir brauchen neue Impulse für die Arbeit mit Kindern, um ihre Entwicklung gut begleiten zu können.
Dies heißt nicht, die bisher geleistete Arbeit in Frage zu stellen, sondern die bisherigen Erfahrungen als wichtige Basis zu betrachten, um „weiter zu gehen“.
Die Offene Arbeit ist ein Konzept, welches der Idee folgt, bei Veränderungen anpassungsbereit zu sein, ja Veränderungen als andauernden Zustand zu begreifen. Pädagogik ist nie „fertig“ sondern ist in ständiger Bewegung zwischen dem Erfassen der Situation, dem zur Verfügung stellen von Unterstützungen und dem Reflektieren und „neu denken“. Dies ist das Spannende, aber auch Anstrengende in der Arbeit. Diese Sichtweise erfordert, dass sich die Rolle der Fachkräfte wandeln muss: vom Vermittler bzw. der Vermittlerin von Wissen hin zu einer wertschätzenden Begleitung kindlicher Bildungsprozesse. Das Vertrauen in die Entwicklung der Kinder ist hier eine wichtige Grundlage: Kinder sind neugierig, sie wollen sich die Welt aneignen.
Die Fachkraft kann am Morgen nicht wissen, was die Kinder interessieren wird und welche kindlichen Bildungsprozesse stattfinden werden, denn jeder Tag ist auch für die Kinder voller neuer Eindrücke und Herausforderungen. Pädagogische Fachkräfte stehen dem Kind zur Seite, durch ihr Wissen können sie Räume, Materialien und Strukturen zur Verfügung stellen, welche sowohl Herausforderungen, Spielraum als auch Sicherheit bieten. Es geht also neben dem Begleiten der Bildungsprozesse auch darum, Themen zuzumuten und Zugänge zu neuen Erfahrungen zu eröffnen.
Viele Einrichtungen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Bedeutung des kindlichen Spiels in Elternabenden erlebbar zu machen. Große Chancen stecken hier auch in der Beobachtung und Dokumentation, besonders die Bildungs- und Lerngeschichten können hier einen Einblick in kindliche Bildungsprozesse geben, welche sich nicht immer „auf den ersten Blick“ erschließen.
Diese pädagogische Arbeit braucht einen grundlegenden Perspektivwechsel. Die Frage muss sein, wie sich die jeweilige Kindertageseinrichtung an die Bedürfnisse der unterschiedlichen Kinder und Familien anpassen kann und in welcher Beziehung Kinder und Erwachsene zueinander stehen.
Die an den genannten Entwicklungen orientierte pädagogische Praxis ist nur umsetzbar, wenn es gelingt, sich von traditionellen Vorstellungen der Elementarpädagogik zu lösen. Dies heißt für Pädagoginnen und Pädagogen, „die Themen der Kinder zu erfassen … Macht abzugeben“, verbunden mit der „Bereitschaft, sich auf offene Situationen einzulassen“ (SBP/2007/S. 18).
Eine Form ist hier die Offene Arbeit – unabhängig von Funktionsräumen und offenen Türen.